Zufallsbefund von Läsionen im MRT – Mögliche Frühwarnzeichen für MS

Fachartikel

Zufällige Signale im MRT des Gehirns können ein sehr früher Hinweis auf die zukünftige Entwicklung einer Multiplen Sklerose sein. Derzeit wird nach Möglichkeiten gesucht, um zuverlässig jene Personen zu identifizieren, welche mit auffälligen Befunden im MRT, jedoch ohne Krankheitssymptome, tatsächlich an MS erkranken werden. Ihnen könnte schon früh eine Behandlung angeboten werden, wie Prof. Dr. med. Christine Lebrun-Frenay am «MS State of the Art Symposium» 2024 aufzeigte.

MS-typische Läsionen werden regelmässig im Gehirn von Menschen entdeckt, die keine MS-Symptome haben und bei denen aus anderen Gründen eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt wurde. Seit 2009 werden solche Veränderungen, sofern sie bestimmte Kriterien erfüllen, als «radiologisch isoliertes Syndrom» (RIS) bezeichnet. Schon damals ging man davon aus, dass Menschen mit einem RIS ein erhöhtes Risiko haben, an MS zu erkranken. Diese Vermutung wurde in der Zwischenzeit bestätigt.


Hohes Risiko, an MS zu erkranken

«Im Rahmen einer internationalen Studie wurde festgestellt, dass innerhalb von fünf Jahren nach der Entdeckung eines RIS jede dritte Person klinische MS-Symptome aufwies. Innerhalb von zehn Jahren war dies bei jeder zweiten Person der Fall», berichtete Prof. Lebrun-Frenay (Universitätskrankenhaus der Côte d’Azur, Nizza/Frankreich) in ihrem Vortrag. Ihre eigenen Untersuchungen haben zudem ergeben, dass 72% der Personen mit RIS nach 15 Jahren an Multipler Sklerose erkrankt waren. Insgesamt entwickelten etwa 90% der Menschen mit MS, die bereits ein RIS aufwiesen, eine schubförmige MS und etwa 10% eine primär-progrediente MS. 
Wie die Neurologin erklärte, wird das Risiko, nach einem RIS an MS zu erkranken, von mehreren anderen Faktoren beeinflusst. «So ist das Risiko, eine klinische MS zu entwickeln, höher, wenn ein RIS bei Personen unter 37 Jahren oder bei Männern auftritt», berichtete sie. Es ist auch höher, wenn das MRT Veränderungen im Rückenmark oder durch das Kontrastmittel erkennbare Läsionen zeigt. Dabei gilt: Je mehr Risikofaktoren vorhanden sind, desto höher ist das Risiko für eine klinische Erkrankung. Prof. Lebrun ergänzte, ein RIS könne auch bei Kindern und Jugendlichen auftreten: «Ich kenne den Fall eines Kindes, bei dem im Alter von drei Jahren ein RIS entdeckt wurde. Mit neun Jahren entwickelte es schliesslich eine Multiple Sklerose.» 
 

Frühzeitige Behandlung reduziert das Risiko

Wäre es möglich, die Entstehung einer MS zu verhindern, indem man nach der Entdeckung des RIS mit einer krankheitsmodifizierenden Therapie beginnt? Diese Frage wurde in zwei wissenschaftlichen Studien untersucht. Im Rahmen der ersten Arbeit erhielten 44 Personen mit RIS eine Behandlung mit Dimethylfumarat, während 43 von ihnen zur Kontrolle ein Placebo bekamen. Die Studienteilnehmenden wurden über einen Zeitraum von 96 Wochen beobachtet. «Das Risiko, an MS zu erkranken, konnte durch die Behandlung um 80% gesenkt werden», so Prof. Lebrun-Frenay. In der zweiten Studie, an der auch das Inselspital Bern beteiligt war, erhielten 44 Personen mit RIS eine Behandlung mit Teriflunomid und 45 ein Placebo. Diese Behandlung reduzierte das Risiko, klinische MS-Symptome zu entwickeln, um 72%. «Die Resultate beider Studien bestärken uns darin, dass eine frühzeitige Behandlung bei RIS sinnvoll wäre», so die Expertin. Derzeit wird nach Wegen gesucht, um jene Personen zuverlässig zu identifizieren, die nach einem RIS tatsächlich an MS erkranken werden. «So könnten wir ihnen eine Behandlung in einem frühen Stadium anbieten und verhindern, dass sie eine klinische Krankheit entwickeln», folgerte Prof. Lebrun-Frenay.
 

«MS State of the Art Symposium»

Das «MS State of the Art Symposium» ist der schweizweit grösste Fachkongress zum Thema Multiple Sklerose, organisiert von der Schweizerischen MS-Gesellschaft und ihrem Medizinisch-wissenschaftlichen Beirat. Im Jahr 2024 fand der Kongress am 27. Januar im KKL Luzern statt.

MS State of the Art Symposium 2024