Gesichter der MS 2024: Susana Silva

Gesichter der MS

Mein Name ist Susana Silva, ich bin 43 und wohne in Zürich mit meinen zwei Katzen Vincent und Juliette. Aktuell arbeite ich als Wirtschaftsprüferin 80% bei der Revisionsaufsichtsbehörde.

Wann bekamst du die Diagnose MS? Welche Verlaufsform «hast du»? Welche Symptome belasten dich am meisten?
2007 wurde der Verdacht bzw. 2008 die Diagnose MS (RRMS) gestellt. Die MS manifestiert sich jeweils schubförmig und die Beschwerden verschwinden meistens wieder. 

Am meisten belasten mich die kognitiven Beschwerden (Vergessen, teilweise fallen mir Wörter nicht mehr ein, ich kann mir nichts merken), aber auch die Fatigue. Ausserdem leide ich unter Schwindel (zentral vestibulärer Schwindel). 

Welche Schlagzeile würdest du 2024 gerne über dich lesen?
Glücklich und zufrieden. 

Wenn du dir eine «Superkraft» aussuchen dürftest, welche wäre das und warum?
Gute Frage. Weiss ich gar nicht. Eigentlich bin ich zufrieden mit den «Superkräften», die ich habe, oder eben auch nicht. Wenn, dann würde ich mir nur wünschen, die aktuell noch vorhandenen Beschwerden zu eliminieren. Aber sonst, alles gut.  

Wenn du deiner MS ein Tattoo widmest? Welches Motiv? Welcher Text? Wo am Körper?
Wahrscheinlich am Oberarm, beim Deltoideus. Es wäre definitiv eine orangefarbene Schlaufe mit der Schrift «Aufgeben ist keine Option». Wir (vom MS Runningteam) haben diesen Schriftzug hinten auf den T-Shirts. Es ist noch lustig, dass teilweise Leute nach einem Lauf zu uns kommen und uns sagen, wie fest ihnen dieser Spruch geholfen hat, die Strecke zu beenden und eben nicht aufzugeben, auch wenn man nicht mehr mag.  

Was macht dir Stress und wie drückt sich der Stress bei dir aus? Was tust du dagegen?
Wenn etwas nicht so läuft, wie ich es mir wünsche. Oder wenn ich in Zeitnot komme. Das verursacht definitiv Stress, viel eher als früher. Was ich dagegen mache? Mich zurückziehen, etwas spazieren gehen oder sogar einfach mich schnell hinlegen. Meine Katzen knuddeln hilft teilweise auch (sie finden es wahrscheinlich nicht so toll).

Ferien am Meer oder in den Bergen? Was findet deine MS besser?
Definitiv am Meer. Auch wenn Hitze teilweise etwas mühsam ist (Kribbeln in den Händen oder vor allem erhöhte Müdigkeit), das Meer hat definitiv eine beruhigende Wirkung. Und auch die Sonne und die Wärme. Die Berge finde ich toll, leider kann ich nicht mehr wirklich so oft wandern gehen (wegen dem Schwindel). 

Was sollte dein soziales Umfeld gerne öfter tun? Was lassen?
Lassen: Mitleid haben (wüsste nicht wofür) oder mir Sachen nicht sagen, weil es mich stressen könnte (würde lieber selbst entscheiden).
Öfter tun: Akzeptanz, wenn ich müde bin und keinen Alkohol trinken möchte. 

Kopf oder Herz/Bauchgefühl? Auf was vertraust du im Alltag?
Ich bin definitiv ein Kopfmensch, sehr rational und möchte immer alles verstehen. Ich würde mir aber wünschen, mehr auf mein Herz, bzw. Bauchgefühl zu hören. Die MS hat mir aber gezeigt, dass ich auch auf mein Bauchgefühl hören kann und darf. Denn dieses weiss meistens viel besser, was mir wirklich guttut. 

Welches Kompliment hat man dir zuletzt gemacht?
Mein Selbstwertgefühl ist nicht wirklich sehr stark. Ich habe definitiv in den letzten Jahren daran gearbeitet und deshalb ist das beste Kompliment, dass man mir zuletzt gemacht hat: Schön, dass du auf dich schaust (wenn ich etwas absage, dann weil es für MICH nicht stimmt). 

Es ist schwierig zu erklären, aber mir war immer wichtig, was die anderen über mich denken oder dass es den anderen gut geht. Dabei habe ich MICH oft vergessen. Für mich ist es daher ein sehr schönes und willkommenes Kompliment, dass mir jemand machen kann (oder ich mir selbst), wenn ich ganz stolz etwas für mich mache (ohne an die anderen zu denken) und man das bemerkt. 

Was bedeutet Familie für dich? 
Definitiv sehr wichtig, als Portugiesin erst recht. Dabei meine ich nicht nur meine Eltern (ich bin ein Einzelkind), sondern die ganze Familie «drum herum» (Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins, etc.). Es sind definitiv auch die, die sich zu fest um mein Wohlergehen kümmern (siehe «Lassen» weiter oben). Aber es sind auch die, denen ich ganz offen und ehrlich sagen kann, wie ich mich fühle und wenn etwas für mich nicht stimmt.  

Du und der Schlaf: Freund oder Feind? 
Wenn ich mich ausruhen könnte, definitiv Freund. Generell schlafe ich gerne, deshalb würde ich den Schlaf nicht als Feind sehen. Aktuell schlafe ich leider nicht ganz so gut (wegen der Fatigue).

Wie findest du es, wenn wir über «prominente» MS-Betroffene, wie zum Beispiel Selma Blair oder Christina Applegate berichten? Was wäre deine erste Frage an einen von ihnen? Und an wen?
Fragen habe ich keine, definitiv nicht. Ich erachte beide Frauen - a apropos auch Jasmin Nunige - als sehr starke Frauen, mit viel Mut und Kraft. Ihr starker Wille gibt hoffentlich vielen MS-Patienten Mut für sich zu kämpfen und an sich zu glauben. Generell erachte ich es als äusserst wichtig, die Diagnose nicht als Schicksalsschlag zu sehen, sondern viel mehr als Möglichkeit, sein Leben vermehrt in die Hand zu nehmen. Also von mir aus gerne weitere solche Porträts zeigen. 

Würdest du gerne einmal für ein Jahr im Ausland leben? Wo? Was hält dich davon ab?
Ich wollte vor 13 Jahren in NYC wohnen gehen. Die Problematik mit Medikamenten und Gesundheitsversorgung hat mich davon abgehalten. Wir haben es in der Schweiz definitiv gut. Die Information der Betroffenen (und Angehörigen) ist sehr umfangreich. Auch wird man von den Ärzten heutzutage nicht mehr als «unheilbare Kranke» angesehen, sondern vielmehr als jemand, der eine bestimmte Diagnose hat. Ich finde dies sehr wichtig. Das war zu Beginn meiner MS-Geschichte sicherlich nicht so (man hat mir bspw. abgeraten, Ausdauersport zu machen).  

Was wolltest du als Kind (beruflich) werden? Hat dich die MS gebremst, es zu werden?
Als Kind wollte ich Stewardess oder Flugbegleiterin werden. Das Leben hat es dann doch anders gewollt. Aber die MS hat mich nie davon abgehalten, etwas zu machen. Ich würde mir auch jetzt zutrauen, etwas komplett Neues zu lernen. Das Einzige, was einem evtl. Angst macht, ist die Selbstständigkeit. Dies vor allem, weil man ja nicht weiss, wie das Morgen aussehen wird. Das Morgen kennt niemand, das ist mir bewusst. Aber wenn man eine bestimmte Diagnose hat, dann ist man hier etwas vorsichtiger.

Wenn deine MS ein Tier wäre, welches und warum?
Eine Freundin nennt die MS «The Bitch», finde es eigentlich sehr passend.  Ich persönlich würde Schmetterling sagen. Von der Raupe, noch unbeholfen und fragil, sie muss ihren Weg finden, um genug zu essen (viel lesen und sich informieren, ihre Identität und ihren Weg neu suchen). Wenn sie genügend gegessen hat, verpuppt sie sich (Selbstfindung), schlüpft aus und wird zu einem wunderschönen Schmetterling (man erkennt die schönen mentalen Veränderungen in einem selbst, wird selbstbewusster und wächst). 

Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieriger geworden?
Das Verständnis betreffend chronische Krankheiten ist sicherlich besser geworden. Wenn ich über MS rede, dann wissen die meisten, was ich meine (meistens natürlich auch, weil sie jemanden kennen, der die Diagnose ebenfalls hat). Was sich jedoch sicherlich noch bessern könnte, ist die Akzeptanz von chronischen Krankheiten in der Arbeitswelt. Auch wenn man weiss, was es ist, viele wissen trotzdem nicht, wie damit, bzw. mit den Betroffenen umzugehen. 

Wenn Du morgen zum «Bundesrat für Forschung gegen die MS» ernannt wirst, was sind deine ersten 3 Massnahmen?
Ich bin leider nicht aus der Branche, aber
- Vermehrte Erforschung von natürlichen Medikamenten und alternative Methoden unterstützen
- Entlastung von Krankenversicherungen, die den Patienten die freie Wahl geben, ihre Krankheit auch mit natürlichen Medikamenten zu behandeln (anstelle der teuren Medikamente)
- Einführung der Unterstützung einer jährlichen Blut-Routinekontrolle (wobei auch Vitamin D-Tests wieder von den Krankenkassen übernommen werden)

Wie stark hat die Diagnose MS deine Einstellung zum Leben verändert? Gibt es bestimmte Dinge, die du vor der Diagnose über das Leben und die Gesundheit geglaubt hast, die sich seitdem verändert haben?
Mich persönlich hat die Diagnose nie vom Weg abgebracht. Eigentlich eher umgekehrt. Mein erster Gedanke war: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, mit Sport (Laufen) anzufangen, solange es noch geht. 

Mittlerweile ist die MS ein Teil von mir geworden. Sie bestimmt aber zum Glück nicht mein Leben. Die Diagnose selbst hat vieles mit mir gemacht, das Meiste wohl eher positiv. Aber klar, ich habe mich auch von «für mich schlechten Menschen» getrennt. Hätte ich wohl ohne Diagnose nicht gemacht. Die Diagnose hat mir unter anderem auch gezeigt:

- nimm jeden Tag so an, wie er ist
- ich bin wichtig und ich achte auf mich
- ich darf auch Hilfe annehmen

Du darfst für 24 Stunden in die Haut eines anderen Menschen schlüpfen. Wer würdest du sein wollen? Und warum?
Oh nein, lieber nicht. Ich bin mit meinem Leben zufrieden, mit seinen Ecken und Kanten. Diese kenne ich immerhin schon. Die eines anderen Menschen wäre ja komplett neu. 

Umgekehrt: Wer sollte mal einen Tag lang dein Leben mit MS führen? Warum?
Auch hier, ich habe über 10 Jahre gebraucht, an die Öffentlichkeit zu gehen und über meine Diagnose offen zu reden. Man kann nicht einfach in den Körper eines anderen Menschen einsteigen und «dann weiss man alles». Man muss sehr viel an sich arbeiten und vor allem mit sich arbeiten. Das braucht Zeit und Geduld. Und ja, nicht alle Erfahrungen waren schön, aber die haben mich stärker gemacht. 

Stell dir vor, du könntest mit deiner MS sprechen, was würdest du ihr sagen/sie fragen wollen?
Ich würde sie fragen, was ich machen könnte, damit es ihr gut geht. Die MS ist ein Teil von mir und als solches will ich, dass es ihr gut geht. Und wenn es ihr gut geht, dann geht es mir ja auch gut.  

Zu welcher Tageszeit erlebst du deine besten Momente? Warum?
Definitiv am Abend. Bis zum Abend bin ich meistens zu müde. Am Abend bin ich dann wieder wacher. Ausserdem ist der Abend meistens ein Moment der Erholung und des für sich Seins. Das brauche ich definitiv, vor allem, wenn man den ganzen Tag von Menschen «umzingelt» war.  

Wurdest du schon mal auf Grund der MS nicht ernst genommen? Wie bist du damit umgegangen?
Nicht ernst genommen, nein. Was ich jedoch erlebt habe, ist - nachdem ich jemandem gesagt hatte, dass ich die Diagnose MS habe - dass sich eine Freundschaft aufgelöst hat. Zu Beginn wusste ich nicht genau wie ich reagieren sollte. Schlussendlich habe ich es akzeptiert und ganz ehrlich, wenn jemand mit meiner Diagnose Mühe hat, dann gehört die Person vielleicht nicht in mein Leben. 

Wenn du ein Vorurteil gegen MS aus den Köpfen der Menschheit löschen könntest, welches wäre das?
MS bedeutet automatisch, dass man früher oder später im Rollstuhl landet. Dieses Vorurteil finde ich definitiv am mühsamsten auszulöschen. 

Hast du Kontakt zu anderen MS Betroffenen? Hilft dir der Austausch mit anderen MS Betroffenen?
Seit über 10 Jahren engagiere ich mich für die Regionalgruppe «MS Runningteam» der Schweiz. MS- Gesellschaft, mache die Finanzen und organisiere Rennen für die MS-Betroffenen, deren Ziel es unter anderem ist, auf die Krankheit aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass MS die Krankheit mit den 1.000 Gesichtern ist. Einige trifft es härter, ja. Andere weniger. Und das sollen die Menschen auch wissen. Ausserdem ist es mir wichtig, Betroffene bzw. deren Angehörige wo immer möglich zu unterstützen, indem ich über mich und meine Erfahrungen erzähle. 

Der Austausch in der Gruppe finde ich generell sehr wichtig, einfach weil man sich über Erfahrungen mit Medikamenten austauschen kann oder auch Mut geben kann, wenn es mal nicht so gut läuft. Das ist das Schöne am MS Runningteam und ich bin sehr dankbar, Teil dieser Gruppe zu sein. 

Was unterscheidet dich von anderen MS-Betroffenen?
Wir sind alles Menschen und daher sehr unterschiedlich. Jeder hat andere Erfahrungen, verträgt Medikamente anders, hat einen anderen Verlauf. Das Schöne ist aber, wir unterstützen uns gegenseitig, wo immer wir können. 

Wenn du einen Tag ohne MS- Symptome erleben könntest, wie würdest du diesen Tag gestalten?
Ich wäre voller Energie und Elan, ich würde definitiv in die Berge gehen, um zu wandern. Einfach dieses Unbeschwerte wieder zu erleben, das wäre wunderschön. 

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft? Nimmst du Beratung, Angebote oder Dienstleistungen in Anspruch?
Da sind einmal die Erfahrungen mit dem MS Runningteam. Und ja, ich nehme Angebote und Dienstleistungen der MS-Gesellschaft sehr gerne in Anspruch. Ich finde, sie macht eine grossartige Arbeit, sei es mit den Betroffenen, den Angehörigen wie auch mit der Öffentlichkeit. Und auch die Angebote bringen die Leute näher zusammen. Vielen Dank hierfür.

 


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