Gesichter der MS 2024: Babs Fischer

Gesichter der MS

Ich bin Babs, 41 Jahre alt, 1.70 gross (aber man sieht es nicht im Rollstuhl) und lebe zusammen mit meinem Partner Oli und meinem Labrador Frida (ebenfalls mein «Partner») in Bern. Seit 2009 bin ich selbständige Grafik-Designerin. Mittlerweile beziehe ich eine IV-Rente.

Da mich meine Sehbehinderung und die anderen Krankheitssymptome sehr stark einschränken, arbeite ich nur noch im kleinen Rahmen (ohne Druck und stressige Deadlines) an Herzensprojekten, wie zum Beispiel «Kultur am Bettrand» – ein wunderbares Projekt für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Veranstaltungen mehr besuchen können.

Wann bekamst du die Diagnose MS? Welche Verlaufsform «hast du»? Welche Symptome belasten dich am meisten?
Als ich am Steuer meines Ford sass, auf dem linken Auge urplötzlich fast nichts mehr sehen konnte, danach der Augenklinik einen Besuch abstattete, ein MRI und eine LP (Lumbalpunktion) über mich ergehen liess, erhielt ich kurz darauf die Diagnose MS. Das war im Frühling 2012. Mit der Info im Gepäck, dass es heutzutage sehr gute Medikamente gäbe und man damit die Chance habe, weiterhin ein «normales» Leben führen zu können, ging ich die «Sache» eigentlich ziemlich gelassen an.

Es wurde jedoch schnell ungemütlich, da ich alle in Frage kommenden Medikamente nicht vertrug (heftige allergische Reaktionen hatte) und sich der Sehnerv auf dem linken Auge nach/trotz Solumedrol-Gabe nicht mehr erholte. Mittlerweile weiss/denkt, bzw. vermutet man, dass es sich um die Primär Progrediente MS (also keine Schübe) handelte.

Zum heutigen Zeitpunkt habe ich die Diagnose SPMS - Sekundär Progrediente MS. Nach, beziehungsweise mit nun 12 Jahren MS, sitze ich im Rollstuhl, sind beide Sehnerven lädiert, schlage ich mich mit Fatigue herum, habe ich Probleme mit der Blasenfunktion – sprich, bin ich inkontinent und leide an heftiger Spastik in den Beinen und im Rücken (übrigens auch das Symptom, welches mich am stärksten belastet und einschränkt). Die Bilanz meines Krankheitsverlaufs ist somit recht bescheiden.

Welche Schlagzeile würdest du 2024 gerne über dich lesen?
Einzigartiges Wohnprojekt für junge, körperlich beeinträchtigte Menschen wird realisiert!

Wenn du dir eine «Superkraft» aussuchen dürftest, welche wäre das und warum?
Sehen können wie ein Adler? Nein, für mich wäre es eine Superkraft, wenn ich einfach wieder «normal gut» sehen könnte.

Wenn du deiner MS ein Tattoo widmest? Welches Motiv? Welcher Text? Wo am Körper?
Da ich mir aus persönlichen Gründen niemals ein Tattoo stechen lassen würde, erübrigt sich diese Frage.

Was macht dir Stress und wie drückt sich der Stress bei dir aus? Was tust du dagegen?
Alles, was neu und ungewohnt ist. Reizüberflutung – da kriege ich die Krise. Deshalb versuche ich, solche Situationen zu vermeiden, was oftmals schlicht unmöglich ist.

Ferien am Meer oder in den Bergen? Was findet deine MS besser?
Sommer, das Meer und Sonne liebe ich sehr. Blöderweise mag die MS Wärme/Hitze nicht so sehr (Uhthoff-Phänomen). Kälte jedoch ist auch nicht erwünscht, da diese die Spastik verschlimmert. Wie man es dreht und wendet, ziemlich «shizzoe» diese MS. Also wähle ich halt Ferien in den Bergen im Spätherbst.

Was sollte dein soziales Umfeld gerne öfter tun? Was lassen?
Mein näheres soziales Umfeld macht alles wunderbar – das andere Umfeld eigentlich auch, bis auf ein paar schräge Ausnahmen. Die gibt es halt immer…

Kopf oder Herz/Bauchgefühl? Auf was vertraust du im Alltag?
Auf mein Herz und mein Gefühl.

Welches Kompliment hat man dir zuletzt gemacht?
«Wow, du hast so schöne Augen.»

Was bedeutet Familie für dich? 
Ich liebe meine Familie – und ich denke, meine Familie liebt mich. Mit meinen Nichten und Neffen (4 an der Zahl, zwischen 5 und 12 Jahre alt) ist es schön – so herrlich unbeschwert, natürlich und selbstverständlich! Ich bin froh und sehr dankbar, dass, egal was noch kommen mag, meine Familie immer da ist für mich!

Du und der Schlaf: Freund oder Feind? 
Die dicksten Freunde! Ich kann sehr schnell einschlafen und wunderbar durchschlafen, habe während dem Schlaf keine Schmerzen und keine Anstrengungen – ahhh merci, einfach nur wunderbar!

Wie findest du es, wenn wir über «prominente» MS-Betroffene, wie zum Beispiel Selma Blair, Christina Applegate oder Kuno Lauener berichten? Was wäre deine erste Frage an einen von ihnen? Und an wen?
Diese Berichte finde ich eher uninteressant.

Würdest du gerne einmal für ein Jahr im Ausland leben? Wo? Was hält dich davon ab?
Nein, auf keinen Fall! Ich bin zu wohl und happy in meiner Komfort-Zone. Alles so, wie und wo ich es brauche… hey und ja, meine Flexibilität und Spontanität ist mir leider im Lauf der Zeit ziemlich abhandengekommen.

Was wolltest du als Kind (beruflich) werden? Hat dich die MS gebremst, es zu werden?
Künstlerin …und nein, mich hat nichts gebremst.

Wenn deine MS ein Tier wäre, welches und warum?
Ich liebe Tiere, ausser einem. Somit klar: eine Zecke! Braucht kein Mensch dieses Vieh – anwidernd und ekelhaft, echt mühsam, hartnäckig und nicht wegzukriegen. Zecken haben keine Aufgabe, soviel ich weiss, machen überhaupt keinen Sinn. Sie bringen nur Ärger, Schmerz und Leid!

Hat sich aus deiner Sicht in den letzten Jahren etwas verändert in der Gesellschaft oder Politik gegenüber chronisch kranken Menschen? Was ist vielleicht besser oder schwieriger geworden?
Um nur zwei zu nennen, ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom) und Long Covid – schwierig, ganz schwierig!!! Tut sich da endlich einmal etwas?

Wie stark hat die Diagnose MS deine Einstellung zum Leben verändert? Gibt es bestimmte Dinge, die du vor der Diagnose über das Leben und die Gesundheit geglaubt hast, die sich seitdem verändert haben?
Die Diagnose selbst hat meine Einstellung zum Leben nicht verändert. Der nicht ganz so einfache Verlauf, den ich habe und mein jetziger körperlicher Zustand jedoch, bringt einen sicherlich dazu, noch tiefer und genauer über den Sinn des Lebens nachzudenken. Die Frage ist nicht, ob ich diese Prüfung bestehen kann, auch nicht, wieso muss gerade ich durch diese Prüfung. Die Frage ist, wie gehe ich mit dieser Prüfung um! Ich bin dankbar, habe ich den Weg gefunden!

Du darfst für 24 Stunden in die Haut eines anderen Menschen schlüpfen. Wer würdest du sein wollen? Und warum?
Mein Freund, Oli. Er ist ohne Hände geboren – ich würde wohl etliche Dinge besser begreifen und ab und an ans Limit geraten, nervige und unüberwindbare sowie überwindbare Hindernisse entdecken! Kurz: Damit ich mich besser in ihn hineinfühlen könnte.

Umgekehrt: Wer sollte mal einen Tag lang dein Leben mit MS führen? Warum?
Mein Freund, Oli (und hey, echt nicht böse gemeint, man wünscht das ja echt niemandem – für einen Tag aber machbar)! Warum? Aus den oben genannten Gründen.

Stell dir vor du könntest mit deiner MS sprechen, was würdest du ihr sagen/sie fragen wollen?
Hey DU – nicht dein Ernst, oder? Hör mal, egal welche scheusslichen und gemeinen «Dinge» du dir noch einfallen lässt – DU KRIEGST MICH NICHT KLEIN!

Zu welcher Tageszeit erlebst du deine besten Momente? Warum?
Nachts – wie oben erwähnt, hahaha… gehört ja nicht zur Tageszeit! Im Wachzustand am späteren Vormittag. Früh morgens wäre mein Akku voll aufgeladen, die Spastik macht mir jedoch einen Strich durch die Rechnung. Danach komme ich in Fahrt (für meine Verhältnisse), bis mich die Erschöpfung nach wenigen Stunden wieder einholt und teilweise ganz ausschaltet – Attention please: low battery! Habe ich einen guten Tag, geht es gegen Abend wieder ein wenig besser – der Akku blinkt jedoch stetig und drohend. Es ist zum Verzweifeln, wenn Du ein Machertyp bist… und kannst nicht «machen».

Wurdest du schon mal auf Grund der MS nicht ernst genommen? Wie bist du damit umgegangen?
Im heutigen Stadium (die Erkrankung ist sichtbar) nicht. Früher schon, das «Übliche», wie: Bist Du betrunken (torkelnder Gang). Oder einmal konnte ich an der Bushaltestelle die Bus-Nr. auf der Tafel nicht lesen, dann habe einen Mann um Hilfe gebeten. Dieser meinte dann, ich würde ihn anmachen wollen und hat mich nicht ernst genommen…

Wenn du ein Vorurteil gegen MS aus den Köpfen der Menschheit löschen könntest, welches wäre das?
Es ist so. Wenn sich jemand erkundigt, was ich denn habe und ich darauf antworte, kommt zu 99 % die Aussage: «Ah ok, ich kenne auch einen Betroffenen. Die Cousine meines Freundes (zum Beispiel) hat auch MS. Bei ihr ist es so und so, bei dir auch?»

Also gelöscht werden sollte, dass MS zwar EINEN Namen hat, jedoch nicht EINE Krankheit ist. Sondern eben die Krankheit der 1000 Gesichter. Jeder Betroffene hat durch die Krankheit ein anderes Körpergefühl und verschiedene Symptome, welche ihm den Alltag wenig oder massiv erschweren. Entsprechend kann mehr oder eben auch weniger leisten.

Hast du Kontakt zu anderen MS Betroffenen? Hilft dir der Austausch mit anderen MS Betroffenen?
Ich habe wenig Kontakt zu Menschen, welche von MS betroffen sind. Der Kontaktgrund ist jedoch nicht wegen der MS. Einem Austausch stehe ich eher kritisch gegenüber, da die Verläufe und Symptome der Krankheit so stark variieren. «1000 Gesichter» halt… manchmal passt es und man fühlt sich «im selben Boot» – manchmal passt es halt nicht.

Was unterscheidet dich von anderen MS-Betroffenen?
Mich unterscheidet einiges von anderen Menschen, nicht explizit aber zu Menschen, welche von MS betroffen sind. Darüber zu schreiben, würde hier allerdings zu weit führen…

Wenn du einen Tag ohne MS-Symptome erleben könntest, wie würdest du diesen Tag gestalten?
In meinen damaligen Ford steigen und mit meinem Hund im Gepäck an einen schönen Ort am See fahren. Herumrennen, herumtoben und eine Runde schwimmen und planschen. Danach mit Freunden ausgehen – lecker essen, trinken und tanzen!

Welche Beziehung hast du zur Schweiz. MS-Gesellschaft? Nimmst du Beratung, Angebote oder Dienstleistungen in Anspruch?
Nein, im Moment nicht.

 


Immer gesucht: Neue Gesichter der MS

  •  Du liest und magst unsere Portrait-Serie «Gesichter der MS»? 
  •  Du und deine MS, ihr habt eure ganz eigene Geschichte? 
  •  Du möchtest sie erzählen, um anderen Mut zu machen? Und 
  •  Du willst ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind? 

Dann schreib uns eine Mail mit dem Betreff «Gesichter der MS» an: redaktion@multiplesklerose.ch
und wir schicken dir zum Kennenlernen ganz unverbindlich den jeweils aktuellen Portrait-Fragebogen zu. Du kannst dann in aller Ruhe überlegen, ob du mitmachen möchtest.

Liebe Grüsse, deine Redaktion

P.S. Du magst/kannst nicht mitmachen, kennst aber jemanden, der gerne dabei wäre? Dann erzähl’ es einfach weiter…