Bezahlter Kurzurlaub für betreuende Angehörige

FORTE Magazin

Das Schweizer Bundesgesetz zur Unterstützung von betreuenden Angehörigen beinhaltet bereits seit dem 1. Januar 2021 einen bezahlten Kurzurlaub zur Betreuung von Familienmitgliedern. Susanne Kägi und Sandra Künzli, Co-Leiterinnen des Bereichs Beratung bei der Schweiz. MS-Gesellschaft, beantworten die wichtigsten Fragen dazu.

Was steht Angehörigen im Rahmen des bezahlten Kurzurlaubs zur Betreuung von Familienmitgliedern zu?

Sandra Künzli: Seit dem 1. Januar 2021 haben Arbeitnehmende Anspruch auf maximal drei Tage Kurzurlaub pro Ereignis und nicht mehr als zehn Tage pro Jahr, wenn Familienmitglieder akut Unterstützung brauchen. Den Lohnersatz übernimmt der Arbeitgeber und ihm ist auch eine medizinische Bestätigung durch den behandelnden Arzt vorzulegen, dass das Familienmitglied auf Unterstützung angewiesen ist.

Wer hat Anrecht auf den bezahlten Kurzurlaub?

Sandra Künzli: Familienmitglieder in auf- und absteigender Linie (hauptsächlich Kinder und Eltern) und die Geschwister haben Anspruch auf den bezahlten Kurzurlaub. Hinzu kommen Ehepartner und Schwiegereltern, die eine gewisse Fürsorge im Alltag übernehmen. Auch Lebenspartner und Lebenspartnerinnen zählen dazu, die mindestens seit fünf Jahren einen gemeinsamen Haushalt führen. Lebt das Familienmitglied im Ausland ist ein zusätzlicher Beleg wie beispielsweise eine Patientenverfügung oder ein Fürsorgeauftrag nötig, welcher die Fürsorgeaufgaben festhält.

Sich trauen und Hilfe beanspruchen

Susanne Kägi: Wichtig ist, den Arbeitgeber sofort über akute oder frühzeitig über geplante Ereignisse für eine optimale Planung zu informieren. Arbeitnehmende befinden sich oft in einem Dilemma. Sie möchten ihre Arbeit gut machen und verlässlich sein, gleichzeitig aber auch ihre Liebsten unterstützen. Bei neuen Arbeitsformen mit Homeoffice besteht dann die Versuchung, die Arbeit nachts zu erledigen, was langfristig gesundheitsschädlich sein kann. Deshalb ist es wichtig, wenn Arbeitnehmende sich in akuten Fällen auf diese Regelung besinnen, um sich kleine Freiräume zu schaffen ohne finanzielle Einbussen zu erleiden.

Der bezahlte Kurzurlaub zur Betreuung von Angehörigen scheint noch nicht allen bekannt zu sein. Wie kann man aktiv werden?

Susanne Kägi: Längst nicht alle kennen diese Regelung, seien es medizinische Fachpersonen, Arbeitgebende oder Arbeitnehmende selbst. In Beratungen erleben wir immer wieder Aha-Momente bei Klientinnen und Klienten, wenn wir sie auf den bezahlten Kurzurlaub aufmerksam machen. Um dies bekannter zu machen, können Arbeitnehmende aktiv auf ihre Arbeitgeber zugehen und falls nötig aufzeigen, wo die Informationen zugänglich sind.

Wir haben vom Gesetz gesprochen, welches den Kurzurlaub für akute Ereignisse regelt. Wie steht es um die Entlastung in Situationen, die eine Unterstützung längerfristig erfordern?

Sandra Künzli: In Fällen, in denen eine längerfristige Unterstützung nötig ist, ist in der Schweiz die die Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung (IV) eine wichtige Möglichkeit. Sie unterstützt Personen, die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung auf die Hilfe Dritter angewiesen sind. Die Entschädigung wird in die drei Stufen «leichte», «mittlere» und «schwere Hilflosigkeit» unterteilt. Wichtig zu wissen ist hierbei, dass man eine Erhöhung der Stufe beantragen kann, wenn der Unterstützungsbedarf im Verlauf einer Erkrankung grösser wird.

Daneben gibt es weitere Möglichkeiten, die geprüft werden können, wie z.B. der Assistenzbeitrag der IV oder die Betreuungsgutschrift. Dabei handelt sich um eine Anrechnung in der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die für die Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen gewährt wird. Sie dient dazu, die Rentenansprüche von Personen zu verbessern, die wegen der Betreuung von Angehörigen nicht oder nur eingeschränkt erwerbstätig sein können. Neu gilt dies auch für Paare im Konkubinat.

Bei Fragen zu Entlastungsmöglichkeiten steht das Beratungsteam der Schweiz. MS-Gesellschaft MS-Betroffenen und deren Angehörigen kompetent und kostenlos zur Seite.

Alle Informationen zum Kurzurlaub für betreuende Angehörige stehen auf der Webseite des Bundesamts für Sozialversicherungen BSV zur Verfügung.